Wir alle haben schon unsere eigenen Erfahrungen mit Callcentern gemacht. Oft können die Servicemitarbeiter von Telefon-Hotlines die Probleme beim ersten Anruf lösen; manchmal haben diese aber auch Rückfragen an die Technik oder müssen sich grundsätzlich erst einmal sachkundig machen. Dann wird der Kunde später zurückgerufen oder er erhält eine E-Mail mit der möglichen Lösung seines Anrufgrundes.
In seinem wunderbaren Buch „Der Halo-Effekt“ berichtet Kollege Rosenzweig von den Ergebnissen einer Kundenzufriedenheitsumfrage einer solchen Kundenhotline: Die Callcenteragents, die in der Lage waren die Fragen sofort zu beantworten, bekamen bessere Noten bezüglich ihrer Sachkenntnis als diejenigen Agents, die die Probleme nicht auf der Stelle lösen konnten. Das kann auch nicht wirklich überraschen.
Wie beurteilen die Kunden aber die Dauer der Wartezeit, die sie in der Anrufschleife verbracht haben, bis ihr Anruf tatsächlich entgegengenommen worden ist? Die Antworten auf diese Frage sind nicht wirklich logisch auswertbar: In der einen Gruppe waren es vier Prozent, die die Wartezeit als zu lange empfanden, in einer anderen Gruppe waren es mehr als viermal so viele, nämlich achtzehn Prozent. Wenn jeder zwanzigste Kunde unzufrieden ist, kann dies eher vernachlässigt werden, wenn aber fast jeder fünfte Kunde die Wartezeit als Unzufriedenmacher empfindet, besteht definitiv Handlungsbedarf beim Unternehmen. Doch Vorsicht ist geboten.
Denn, diejenigen, deren Problem sofort gelöst wurde (= Gruppe 1), waren auch mit der Wartezeit deutlich zufriedener, als diejenigen, deren Anruf entgegengenommen, das Problem aber nicht sofort gelöst werden konnte (= Gruppe 2). Warum ist das so überraschend? Das Unternehmen verwendet ein automatisches Verteilsystem in seiner Telefonanlage. First in, First free Agent - unabhängig davon, ob das Problem sofort oder erst nach weiteren Rücksprachen gelöst werden wird. Woher soll das System dieses auch wissen ;-).
Was ist also passiert? Die Kunden haben einen Gesamteindruck der Servicequalität, der maßgeblich davon abhängig ist, ob ihr Problem sofort gelöst werden kann. Dieser Gesamteindruck wirkt sich auf die Beurteilung der Zufriedenheit mit der Wartezeit aus. Die Kunden sind zufriedener als sie es selbst empfinden. Das nennt man den Halo-Effekt.
In diesem Kontext wird unter dem Halo-Effekt die Tendenz verstanden, faktisch unabhängige oder nur mäßig korrelierende Eigenschaften von Personen oder Objekten als zusammenhängend wahrzunehmen, obwohl diese unabhängig voneinander sind. Der Halo-Effekt veranlasst uns, sämtliche Eigenschaften einer Person oder eines Objektes aus unserer Sicht mit unserem Urteil über ein besonders bedeutsames Attribut zur Deckung zu bringen: Ob das Problem sofort oder erst nach einem Rückruf gelöst wird, ist ein besonders bedeutsames Attribut für den Kunden. Die Wartezeit bis der Anruf entgegengenommen wird, aber nicht. Obwohl beide Attribute unabhängig voneinander sind, versuchen die Kunden diese zur Deckung zu bringen. Nur die Kunden wissen das nicht, bzw. sie wissen es, sie wissen nur nicht, dass sie „Unzufriedenheit“ urteilen, obwohl sie vielleicht mit diesem Attribut zufrieden sind - jetzt weiß auch das Unternehmen es nicht.
Im Kontext der Kundenorientierung ist der Halo-Effekt besonders wichtig. Er sorgt für eine kognitive Verzerrung der Wahrnehmung und kann gegebenenfalls zu falschen Entscheidungen in Unternehmen führen. Insbesondere dann, wenn der Halo-Effekt dazu führt, dass der Kunde mit einem Attribut zufrieden ist, er dies aber nicht weiß, weil dieses Attribut von einem anderen, bedeutenderen Attribut, mit dem der Kunden nicht zufrieden ist, überstrahlt wird. Im Beispiel könnte es Verschwendung sein, die Erreichbarkeit der Telefonhotline weiter zu verbessern.
Den Halo-Effekt nutzen wir auch, um Urteile über Dinge unter Unsicherheit, oder bei mangelndem Wissen zu bilden. Also über Dinge, von denen wir eigentlich keine Ahnung haben. Marken funktionieren nach diesem Muster. Diese signalisieren dem Kunden zum Beispiel bei Einführung neuer Produkten bestimmte Eigenschaften, die der Kunde von anderen Produkten dieser Marke kennt und automatisch den neuen Produkten zuordnet, auch wenn er die neuen Produkte noch nie gesehen, geschweige denn benutzt oder konsumiert hat.
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