Eines der berühmtesten Experimente zur Wahrnehmung ist das Gorilla-Experiment. Für die Gorilla-Studie hatten die Psychologen Christopher Chabris und Daniel Simons an der University of Illinois einen Affen unter ein paar Basketballspieler gemischt. In einem Video von 1 1/2 Minuten sind zwei Teams (weiß und schwarz gekleidet) zu sehen, die sich gegenseitig einen Basketball zuwerfen. Studentengruppe 1 hat die Aufgabe zu zählen, wie oft sich das weiße Team den Ball zuwirft, Gruppe 2 zählt das schwarze Team.
Nachdem das Video gestartet wird, widmen die Studenten fokussiert ihre Aufmerksamkeit ihrem Team und den geworfenen Bällen. Nach zirka 30 Sekunden kommt im Video ein Gorilla hinzu und bewegt sich im Bild. Einmal hält er sich sogar in der Mitte des Bildes auf und klopft sich mit beiden Händen an die Brust. Nachdem das Video beendet ist, befragt der Dozent die beiden Studierenden, wie oft ihr Team den Ball gefangen hat. Keine große Herausforderung für die Studierenden. Die meisten Antworten sind richtig. Allerdings sind die meisten Studierenden verwundert als der Dozent fragt, wer den Gorilla gesehen habe. Im originären Experiment haben mehr als die Hälfte der Studierenden den Gorilla tatsächlich nicht gesehen.
Die Studierenden haben ihre Aufmerksamkeit derart fokussiert auf die Aufgabe „Anzahl Ballwürfe des jeweiligen Teams zählen“ gelenkt, dass sie alles um sich herum ausblenden. Selektive Wahrnehmung nennt man das. Diese zu beherrschen ist für uns Menschen überlebenswichtig. In jeder noch so kleinen Zeiteinheit wirken unzählige Reize auf uns ein. Während Sie diese Zeilen lesen, fühlen Sie den Bildschirm, hören Sie die Stimmen und Geräusche der Umgebung, sehen Sie die Farbe des Tisches oder Ihrer Hose, fühlen Sie den Stoff der Hose oder der Tastatatur … . Die selektive Wahrnehmung ist die Voraussetzung dafür, dass Sie diese Zeilen lesen und verstehen können. Es ist die Voraussetzung dafür großartige Leistungen zu erbringen.
Was bedeutet dies für die Kundenorientierung eines Unternehmens? Die beispielhaft genannte Reizüberflutung zeigt, wie wichtig es ist, dass wir die Aufmerksamkeit der Kunden auf mögliche positive Kundenerfahrungen lenken. Das kann aber nur funktionieren, wenn wir unseren Kunden wiederum selbst unsere volle Aufmerksamkeit schenken. Immer wieder in das Ladenlokal zu schauen, alle 5 Minuten die eigenen Mails und WhatsApp zu checken, dem Kollegen noch schnell eine Information geben oder bedingungslos und ultrakompetent die eigene Arbeit bis zum Ende verrichten und sich erst dann um den Kunden zu kümmern, lenkt die Aufmerksamkeit des Kunden zielstrebig weg von möglichen positiven Kundenerfahrungen hin zu Unzufriedenheit und Enttäuschung.
Sie könnten jetzt übrigens dazu verleitet sein, das Gorilla-Experiment mal selbst auszuprobieren. Freudig werden Sie dann vielleicht feststellen, dass Sie zu der Minderheit gehören, die den Gorilla, trotz Zählaufgabe, sehen. Das liegt daran, dass Sie sich eine zweite Aufgabe (den Gorilla sehen) gegeben haben. Aber haben Sie auch die richtige Zahl an Ballwürfen gezählt? Und, haben Sie eigentlich bemerkt, dass im Bild ein Bär abgebildet ist und kein Gorilla?