Auch drei Tage nach der Wahl agieren die Parteien der Mitte wie ein Liebhaber, den seine Liebste verlassen hat. Sie ertrinken in Selbstmitleid und bestätigen damit eindrucksvoll die Wahl zahlreicher Bürger. Gleichzeitig melden sich Diejenigen, die unsere Demokratie in Gefahr sehen, die vor dem brauen Sumpf warnen und ohnehin besser wissen, was gut ist für unser Land.
Diejenigen aber, die am Sonntag die AfD gewählt haben, sind Menschen, die sich ihrer Wahl durchaus bewusst sind. Das bedeutet aber noch lange nicht, dass sie auch die AfD mögen. Es gibt nämlich einen Unterschied zwischen dem Verhalten „Wahl der AfD“ und "Sympathie für die AfD. Es gibt also einen Unterschied zwischen „etwas zu wollen“ und „etwas zu mögen“.
Ratten mussten dafür herhalten, damit wir diese Erkenntnis gewinnen konnten. In einem Experiment wurde den armen Tierchen, die Region im Gehirn, die für das wollen (wanting) verantwortlich ist, still gelegt. Die Wissenschaftler nahmen an, dass dies dazu führen wird, dass die Ratten bei der Präsentation von leckerem Käse nicht reagieren würden. Doch die Ratten reagierten anders: Sobald sie den Käse erkannt hatten, bewegten sie sich auf diesen zu. Aber, als sie den Käse tatsächlich erreicht hatten, blieben sie stehen und aßen diesen nicht. Die Wissenschaftler stellten fest, dass obwohl die Gehirnregion des „wanting" inaktiv war, eine andere Gehirnregion Schwerstarbeit verrichtete. Jetzt war bewiesen, dass es unterschiedliche Gehirnregionen für das „wollen/„wanting“ und das „mögen“/„liking“ gibt.
Einen großen Einfluss auf das menschliche Handeln haben Ziele, weil diese ein wesentlicher Verursacher von Motivation sind. Vereinfacht ausgedrückt sind Ziele der Nährboden für das „wanting“. Solche Ziele können explizit ein sicherer Arbeitsplatz, eine Eigentumswohnung, Ausbildung, ärztliche Versorgung, Vermögen usw. sein. Implizite Ziele sind zum Beispiel Sicherheit und Anerkennung. Wie unterscheiden sich die Parteien der Mitte voneinander, wenn es darum geht, die Menschen bei der Erreichung ihrer Ziele zu unterstützen? Oder fühlten sich viele Wähler der AfD von den Parteien der Mitte im Stich gelassen?
Die Programme der Parteien, die Regierungsarbeit sind letztendlich nichts anderes als Mittel, die der Bürger nutzen kann, um seine Ziele zu erreichen. Damit bestimmt sich der Einfluss auf das „wanting“ danach, inwieweit es gelingt das Programm, die Regierungsarbeit als relevant für den Bürger zur Erreichung seiner Ziele zu positionieren. Genau das ist den Parteien der Mitte aber eben nicht gelungen.
Das „wanting“ kann sich nicht artikulieren. Das kann nur das „liking“. Allerdings kann das „liking“ auch nicht erklären, warum es ein bestimmtes Verhalten gab. Das kann dazu führen, dass der Bürger die AfD wählt, aber eben nicht mit ihr sympathisiert. Aber, die AfD scheint aus Sicht des Wählers, hilfreicher zu sein, seine eigenen Ziele zu erreichen. Die Sympathie ist nicht die Ursache für eine Wahl.
Wir sollten uns auch hüten, die Wähler der AfD zu verunglimpfen (leider muss ich zugeben, dass ich dies populistisch auch immer wieder gerne tue). Wir alle haben schon Entscheidungen getroffen, die uns im Nachhinein unerklärlich waren, die uns vielleicht auch irrational vorkommen. Wie oft haben Sie schon Schweinefleisch im Angebot gekauft (wanting), obwohl sie die Massentierhaltung wahrscheinlich gar nicht mögen (liking)?
Was bedeutet dies für unsere Demokratie: die Parteien der Mitte werden Programme entwickeln müssen, die von den Wählern als geeignet empfunden werden, ihre eigenen Ziele zu erreichen. Solange die Parteien am Volk vorbei regieren, solange einsame Entscheidungen von den Spitzenpolitikern getroffen werden („Wir schaffen das“, „Es gibt kein zusätzliches Geld“, „Das erste, was ich tue, ist das G9 abzuschaffen“, … ), werden die Bürger sich andere Möglichkeiten suchen, ihre Ziele zu erreichen.
Im Spiegel online wird diese Problematik einmal mehr aus gesellschaftskritischer Sicht beleuchtet. http://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/s-p-o-n-der-kritiker-staerke-und-ordnung-egal-wie-a-1083037.html