Wenn die Verantwortlichen von Produktion, Vertrieb und Marketing nach den Determinanten des Erfolges eines Produktes gefragt werden, fallen die Antworten sehr unterschiedlich aus: Die Produktion wird auf die Qualität verweisen, der Vertrieb betont den sachlichen oder funktionalen Nutzen und Marketing erklärt die Marke, als Träger des emotionalen Nutzens, zur Quelle des Erfolges.
Wer hat recht? Alle Drei, jeweils aus ihrer individuellen Sicht. Tatsächlich verschließt die tunnelblickartige Fixierung den Blick aber auf den entscheidenden Erfolgsfaktor schlechthin – den Kaufprozess. Zwischen dem Angebot des Unternehmens und dem Kauf durch den Kunden gibt es zahlreiche Prozessglieder, die entscheidenden Einfluss auf die Wahrnehmung und Handlungen des Kunden haben. Lassen Sie uns diesen Prozess einmal gemeinsam erwandern.
Stellen Sie (= Kunde) sich vor, dass Sie am späten Nachmittag auf einer Almhütte sitzen, sich über die Brettl Jausn (= Brot mit Wurst und Käse für die Norddeutschen) freuen und ein Weizenbier trinken. Sie sind in diesem Moment glücklich hier zu sein. „Essen“ und „Trinken“ sind funktionale, „Freude“ und „Glücklich sein“ emotionale Nutzen. Was hat Sie aber zu diesen Nutzenerfahrungen geführt?
Betrachten wir den Tag doch einmal retrospektiv. Sie sind am frühen Morgen aufgestanden, nach dem Frühstück haben Sie sich auf den Weg zu einer Wanderung gemacht. Unterwegs waren Sie von den Schönheiten der Natur fasziniert. In einem tiefblauen See spiegelte sich das Bergmassiv und tanzten die Wolken zu den Melodien der Singvögel. Vier Kilometer weiter übertönte der Wasserfall jedes weitere Geräusch. Während eines Regenschauers sind Ihnen andere Wanderer begegnet. Diese sahen aus wie begossene Pudel. Sie haben den Sonnenschein herbeigesehnt, die Freiheit auf dem Gipfel aufgesogen bis Sie schließlich auf der Hütte ankamen. Das Glücksgefühl - also das mit dem Weizenbier 😉 – ist demzufolge nichts anderes als ein (vorläufig) letztes Glied in einer Kette zahlreicher Wahrnehmungen und Handlungen, die Sie im Laufe des Tages getroffen haben.
Genauso ist es beim Kauf eines Produktes. Zwischen dem Kunden und dem tatsächlichen Kauf eines Produktes gibt es zahlreiche Prozessschritte. Vergleichbar den Gliedern einer Kette, die die ganze Wanderung vom ersten Glied „Aufstehen“ mit dem Endglied „Weizenbier und Brettl Jausn“ erfassen.
Doch die Kettenglieder sind nicht starr miteinander verbunden. Bewusste und unbewusste Wahrnehmungen und Handlungen führen den Kunden. Die Wanderung hätte zum Beispiel ganz anders verlaufen können: Bei dem einsetzenden Regenschauer hätten Sie z.B alternativ entscheiden können, „bei dem Wetter habe ich keinen Bock, es ist mir einfach zu kalt“ und Sie hätten umkehren können. Es wäre auch möglich gewesen, dass Sie an dem See länger verweilen, weil Sie immer wieder neue Motive, Lichteinfälle gefunden haben, die Sie unbedingt photographieren wollten. Oder stellen Sie sich vor, Sie hätten unterwegs Ihre Heath-App gecheckt und eine rote Ampel hätte Ihnen signalisiert, dass Sie mit dem reichhaltigen Frühstück vom Morgen Ihren angepeilten Tages-Kalorienbedarf schon überschritten hätten. Statt eines Weizenbieres hätten Sie möglicherweise ein Mineralwasser bestellt und auf die Brettl Jausn verzichtet.
Wie bei dieser Wanderung ist es auch bei den Kaufprozessen: Zahlreiche Impulse, Störungen am Tag können dazu führen, dass ein Prozess unter- oder abgebrochen wird und sich andere Prozesse in den Vordergrund schieben. Denken Sie an die zahlreichen Prozesse, die Sie an einem ganz normalen Arbeitstag bewältigen. Gerade als ich diese Gedanken schreibe, poppt eine Whatsapp meines Sohnes auf ... .- Sie ahnen, wie es weitergeht.
Jetzt kann ich den Arbeitsprozess „Blogbeitrag schreiben“ wieder fortsetzen -): Dem Kauf als letztes Element eines Kaufprozesses, gehen zahlreiche Schritte voraus. Viele dieser Schritte haben mit dem Produkt, der Marke, dem funktionalen oder emotionalen Nutzen zunächst gar nichts gemein. Dies lässt sich wunderbar an einer großen Felduntersuchung, die an Züricher Mensen durchgeführt wurde, illustrieren: Das biogene Motiv für den Besuch (Prozessschritt 1) einer Mensa ist Hunger. Es gibt keine lange Warteschlange (Prozessschritt 2). Der Fleischkostgänger wählt zwischen Curry-Wurst und Hähnchen-Schnitzel, das Vegi-Gericht wird von vorneherein ausgeschlossen (Prozessschritt 3). ... Bis zur Bezahlung und dem Konsum gibt es zahlreiche weitere Prozessschritte. Jetzt stellen Sie sich vor, statt der Kennzeichnung Vegi-Gericht würde ein veganes Gericht als „Indische Spezialität“ markiert. Was passiert dann? Tatsächlich hat sich in der Felduntersuchung gezeigt, dass dann der Kauf des Vegi-Gerichtes um 15 % gestiegen ist. Jeder achte ausgesprochene Fleisch-Fan hat bei dem Vegi-Gericht zugegriffen – weil er nicht wusste, dass es ein veganes Gericht ist.
Nicht der funktionale oder emotionale Nutzen, auch nicht die Qualität des Produktes waren für diese Kaufentscheidung ausschlaggebend. Es waren die Belohnungen zweier jeweils dominierender soziogener Motive: Bei Kunden, die immer auf der Suche nach etwas Neuem, nach Abwechslung sind, wurde ihr zentrales Erregungsmotiv bedient. „Indische Spezialität“ ist in der Mensa neu und eine Abwechslung. Andere Kunden wollen die Ersten sein, sich von der Masse abgrenzen; das dominierende Autonomiemotiv schreit regelrecht danach durch eine „Indische Spezialität“ bedient zu werden.
Zurück zu den oben genannten Antworten auf die Frage, welches die Determinanten für den Erfolg eines Produktes sind? Die Qualität kann eine notwendige Bedingung sein, damit es zu einem Kauf kommen kann. Dies trifft auch auf den funktionalen und emotionalen Nutzen zu. Es sind aber keine hinreichenden Bedingungen. Hingegen gilt: Je besser es einem Unternehmen gelingt, die soziogenen Motive der Kunden an jedem Customer Touchpoint des Kaufprozesses zu adressieren, je größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass ein Produkt im Markt erfolgreich sein wird.