Kundenorientierung hat immer Einfluß auf Entscheidungen und Verhalten. Menschliches Verhalten wird entscheidend durch bestimmte Grundmotive beeinflusst. Unser Gehirn kennt viele verschiedene Motive, die Ursache und Antrieb für Entscheidungen und Handlungen sind. Der deutsche Psychologe Norbert Bischof hat mit dem „Züricher Modell der sozialen Motivation“ ein wunderbares Modell entwickelt, welches die Verhaltenssteuerung des Menschen erklären kann. Aus diesem Modell lassen sich wichtige Empfehlungen für die Praxis der Kundenorientierung ableiten. Nach Bischof wird unser Verhalten maßgeblich durch das Sicherheitsmotiv, das Autonomiemotiv und das Erregungsmotiv beeinflusst. Je nach Persönlichkeitstyp dominiert ein bestimmtes Motivsystem. (Eine wunderbare Ausführung hierzu findet sich hier)
Das Streben nach Sicherheit und Geborgenheit, insbesondere bei vertrauten Menschen (Familie, Freunde) bedienen Sicherheitsmotive. Vertrautheit, Anschluss und Geborgenheit treiben Menschen an, bei denen die Sicherheitsmotive dominieren. Im Rahmen der Gehirnforschung ist für dieses Motivsystem das Angstsystem von besonderer Bedeutung. In dieses System gehört auch das Fürsorgemotiv, also die Motivation, anderen Menschen (vor allem den eigenen Verwandten) zu helfen, sie zu unterstützen. Im Kontext der Kundenorientierung von besonderer Bedeutung sind an dieser Stelle das Streben nach Stabilität, Ruhe, Ordnung und Berechenbarkeit zu nennen. Releasewechsel in größeren Abständen, regelmäßige Wartungen, ein Ansprechpartner, regelmäßige Statusberichte, Spenden oder Aktivitäten von denen Dritte, die eher benachteiligt sind partizipieren können, sind Beispiele von Services und Angeboten, die die Sicherheitsmotive befriedigen können.
Wenn hingegen das Streben nach Abwechslung und Neuem oder der Spieltrieb dominieren ist das Erregungssystem aktiv. Das zeigt sich auch dann, wenn fremde Menschen attraktiv sind und sich der Mensch von der Familie abnabelt. Im Rahmen der Gehirnforschung ist das Seeking, das Suchsystem von besonderer Bedeutung. Wenn den Kunden, bei denen das Erregungssystem von besonderer Bedeutung ist, regelmäßig die gleichen Angebote geschickt werden, im Newsletter immer wieder die eigene Kompetenz unterstrichen und wiederholt wird, kann der Absender sicher sein, dass dies zu Reaktanz bei den Kunden führen wird. Für diese Kunden ist nämlich nichts schlimmer als Langeweile und (nervige) Wiederholung. Präsentationen des neuen Modells außerhalb der klassischen Verkaufsräume, neue, zusätzliche Funktionen durch Updates, unregelmäßiges, aber immer abwechslungsreiches Nudging, in Restaurants abwechslungsreiche Speisekarten bedienen die Motive des Erregungstypen.
Das Streben nach Macht (Beherrschung von anderen), Leistung (sich selbst „beherrschen“), Geltung und Selbstwert, Unabhängigkeit und nach Durchsetzung gegenüber anderen sind die wesentlichen Einzelmotive, die im Autonomiesystem gebündelt werden. Kunden bei denen das Autonomiesystem vorherrschend ist, wollen siegen. Emotionen wie Ärger, Wut werden gezeigt, wenn die Autonomiemotive nicht befriedigt werden. Lange Wartezeiten sind eine wunderbare Möglichkeit, um diese Kunden zum Wettbewerber zu treiben. Hingegen erfahren die Autonomiemotive eine große Befriedigung, wenn der Kunde einen VIP-Status erfährt und er Dritten gegenüber seine Besonderheit und Einmaligkeit dokumentieren.
Geschlossene Systeme wie IOS (Apple) passen eher zum Sicherheitsmotiv. Durch die regelmäßigen Neuerungen wird teilweise auch das Erregungsmotiv bedient. Android, als offenes System, befördert die Autonomie des Kunden. Die Sicherheitssysteme dominieren, wenn Menschen regelmäßig im gleichen Ort, im gleichen Hotel den Urlaub verbringen; mit der AIDA immer wieder fremde Länder besuchen, in Gruppen dann in die Hafenstädte einzufallen, ist eher typisch für das Autonomiesystem; in ein fremdes Land zu fliegen, und Land und Leute dann auf eigene Faust zu erkunden sorgt für prickeln und allerlei ungeplanter Erlebnisse und bedient daher eher die Erregungsmotive.
Die drei Motivsysteme werden schon in den ersten Lebensjahren angelegt. Geborgenheit, Zuneigung, Schutz vor unbekanntem sucht das Baby in den ersten Lebensjahren bei den Eltern. Das Sicherheitsmotiv ist angelegt. Wenn das Kind lernt zu greifen, zu krabbeln, zu laufen müssen die Eltern meistens alles bewegliche in den eigenen vier Wänden festnageln, hochstellen oder gar verstecken. Jetzt ist das Erregungsystem aktiv. Der Wissenschaftler im Kind, der immer auf der Suche nach Neuem ist, auch viele Fragen beantwortet haben möchte, übernimmt das Kommando. Spätestens in der G-Klasse im Fußball, meistens aber früher im Kindergarten, werden Hackordnungen ausgekämpft, Richtungen vorgegeben, eigene Spielzeuge und Werkzeuge verteidigt. Die Kinder lernen sich durchzusetzen, Macht zu haben.
Was in den ersten Lebensjahren in uns angelegt ist, wird uns das ganze Leben lang bestimmen. Wir alle haben diese Motive, wenn sie auch durch unterschiedliche Erfahrungen in jedem Menschen anders ausgeprägt sind. Je nach Persönlichkeit ist der eine mehr Sicherheitstyp, der andere Erregungs- oder Machttyp. Dieses System ist über die Zeit relativ stabil, kann sich aber situativ durchaus ändern. Auf einmal kann der Seitensprung, der so gar nicht typisch ist, erklärt werden.
Im Kontext der Kundenorientierung ist es wichtig, diese kennen. Letztendlich sind Motive - bzw. deren Befriedigung - verantwortlich für Entscheidungen und Handeln des Menschen. Gerade an dieser Stelle erhält das berühmte Zitat des Philosophen Arthur Schopenhauer eine besondere Bedeutung: „Wenn es überhaupt ein Rezept für den Erfolg gibt, besteht er darin, sich in die Lage anderer Menschen zu versetzen.“
Christian Scheier hat in einem Interview der W&V die grundlegenden Motivatoren am Beispiel Social Media erklärt: “Wenn wir uns bei Facebook einloggen, dann um mit anderen in Kontakt zu treten – dahinter steht die uralte Motivation, Teil einer Gemeinschaft zu sein. Wenn wir uns bei Twitter einloggen, dann unter anderem, um etwas Neues zu erfahren, uns inspirieren zu lassen – dahinter steht die uralte Motivation, eben Neues zu entdecken, sich an- und erregen zu lassen. Das dritte zentrale Grundbedürfnis ist: Autonomie – besser als andere zu sein oder sich als besonders smart zu inszenieren, etwa wenn wir spannende Links teilen. Das ist ein oft weniger bewusster Teil der zugrunde liegenden Motivation, sich als Kenner einer Materie zu inszenieren – vor sich selbst, vor allem aber vor anderen.” (Quelle: W&V, Nr. 38, 2016)