Kundenorientierung und Rentabilität - Wie Kain und Abel?

Es kann keinen Zweifel geben: Kundenorientierung ist die Königsdisziplin der Unternehmensführung. Besonders groß ist die Herausforderung, wenn Unternehmen sich scheinbar entscheiden müssen, Kundenorientierung auf dem Altar der Rentabilität zu opfern.

In vielen Unternehmen ist es durchaus üblich, während der Geschäftsbeziehung die Kontakte mit dem Kunden auf ein notwendiges Minimum zu reduzieren. Der Kunde soll nicht geweckt werden. Im CRM ist er als „Schläfer“ markiert. Solche Schlafautomatismen sind in vielen Branchen zu regelrechten Marktprozessen mutiert. Banken zum Beispiel warten jeden Monat darauf, dass ein Konto auf „0“ steht. Dann verlangt das Kreditunternehmen imponierende Strafgebühren. Die Schuld hat ja der Kunde, der schon fast gewohnheitsmäßig „pleite“ ist. Bei einem der großen Provider der Telekommunikation sind 12 Prozent der Kunden Schläfer – die hiermit erzielten Kundendeckungsbeiträge motzen jede Statistik auf! So weit die eine Seite in der Praxis. Es gibt aber auch eine andere Sichtweise.

Abo-Verträge sind ein Paradebeispiel, um zu illustrieren, wie Unternehmen über das Instrument Preispolitik die Kunden zu einer höheren Nutzung eines gekauften Produktes motivieren können.[1] Was glauben Sie zum Beispiel wer in einem Fitnessstudio häufiger trainiert: Derjenige, der einmalig € 600 bezahlt oder der, der monatlich jeweils € 50 überweist? Bei monatlichen Zahlern kann beobachtet werden, dass nach jeder Zahlung die Nutzung kurz ansteigt und dann wieder abfällt. Die Monatszahler nutzen das Fitnessstudio häufiger, da sie monatlich auf ihrem Konto- oder Kreditkartenauszug an die Mitgliedschaft erinnert werden.

Zwei implizite Entscheidungsregeln können dieses unterschiedliche Nutzungsverhalten erklären: Nach der mentalen Buchführung teilen wir unsere finanziellen Transaktionen in verschiedene Konten auf. Im Beispiel gibt es ein Konto „Fitness“. Da wir jedes Konto mit einem Gewinn abschließen wollen, müssen wir ins Studio gehen, um dem Euro-Betrag auf der einen Kontenseite, einen Habenbetrag gegenüberzustellen. Eine monatliche Abbuchung macht den möglichen Verlust jedes Mal sichtbar. Eine weitere Erklärung liefert die Entscheidungsregel der versunkenen Kosten: Hiernach wollen wir es vermeiden, etwas umsonst bezahlt zu haben. Die monatliche Zahlung führt zu einer intensiveren Nutzung der erworbenen Leistung. Im Grundsatz kann angenommen werden, dass hierdurch eine größere Kundenzufriedenheit bewirkt wird. Für das Fitness-Studio liegt der große Vorteil in der intensiveren Bindung. Statt einer Ratenzahlung kann alternativ eine monatliche Information über die „Abbuchung“ dazu dienen, den Kunden zu einer intensiveren Nutzung zu aktivieren.

Zweifelsohne werden die Ehrlichkeit, Fairness und Transparenz des Unternehmens die Schläfer-Quote dramatisch verschlechtern. Auf der anderen Seite werden die Kundenzufriedenheit und die Kundenbindung gesteigert. Nicht zu vernachlässigen ist zudem, dass Ehrlichkeit, Fairness und Transparenz gleichfalls wichtige Bestimmungsfaktoren der Mitarbeiterzufriedenheit sind.


[1] s. Auch zum Folgenden: Scheier, Christian 2019. Wie rational sind Produkt- und Preis-Entscheidungen? › absatzwirtschaft. absatzwirtschaft.de. abgerufen am 7.1.2020