Im Kontext der selektiven Wahrnehmung habe ich ausführlich das Gorilla-Experiment vorgestellt. Die Psychologin Carina Kreitz vom Institut für Kognitions- und Spielforschung der Deutschen Sporthochschule in Köln hat dazu eine weitere Erklärung im Fachblatt Perception veröffentlicht.[1] Demzufolge gilt: Je deutlicher sich ein unerwarteter Reiz (der schwarze Gorilla) vom Fokus der Konzentration (die Basketballspieler in den weißen T-Shirts) unterscheidet, desto leichter entgeht er der Wahrnehmung.” Dies wird Unaufmerksamkeitsblindheit genannt.

Diesen Begriff haben wir den beiden amerikanischen Psychologen Arien Mack und Irvin Rock zu verdanken. Diese ließen ihre Probanden die Länge von Linien vergleichen, die jeweils nur wenige Augenblicke auf einem Bildschirm eingeblendet wurden. Das Quadrat, das gelegentlich ebenfalls auf dem Bildschirm auftauchte, übersahen sie. In vielen Studien haben Wissenschaftler seither dieses Phänomen in vergleichbaren Laborversuchen oder Freiland-Experimenten beobachtet. Zu den amüsanten Untersuchungen zählt das von Daniel Simons und Daniel Levin. „Ihr Experimentator sprach Passanten an und ließ sich auf einem Stadtplan den Weg erklären. Während des Gesprächs marschierten zwei Männer mit einer Tür auf den Schultern zwischen beiden hindurch. In dieser Deckung wechselte der Mann mit dem Stadtplan: Der Passant erklärte nun einer neuen Person den Weg und bemerkte es nicht.”

Das besondere an der Unaufmerksamkeitsblindheit: Sogar wenn Probanden explizit über das Phänomen aufgeklärt werden, fallen noch einige darauf herein. Zudem fördert hoher Kontrast die Unaufmerksamkeit: „Sollten sich Teilnehmer in Fahrsimulatoren auf blaue Signale konzentrieren, übersahen und überfuhren sie unerwartet auftauchende gelbe Motorräder eher als blaue.” Nicht einmal Experten können sich vor diesem Effekt schützen. Wieder war es ein Gorilla, der zu dieser Erkenntnis half. „Diesmal versteckte der Psychologe Trafton Drew Bilder eines Affen in Scans von Lungen und legte sie Radiologen vor, wie er 2013 in Psychological Science berichtete. Die Ärzte sollten nach Knötchen im Lungengewebe suchen. Mehr als drei Viertel übersah dabei das Affenbild auf dem Scan, obwohl es bis zu 84-mal so groß war wie ein Knötchen.“[2]

Dieser Unaufmerksamkeitsblindheit unterliegen der Kunde wie der Mitarbeiter und Manager gleichermaßen. System 1 kann sich über Arbeit nicht beklagen. Fragen, die sich selbst bzw. dem Kunden gestellt werden, können helfen System 2 in Arbeit zu bringen. Blinde, die nicht wissen, dass sie blind sind, werden so sehend.


[1] https://www.sueddeutsche.de/wissen/psychologie-der-unsichtbare-gorilla-1.2733707
[2] Ebenda