Mitarbeiter kennen den Kunden nicht
Die meisten Unternehmen nehmen für sich in Anspruch ihre Kunden zu kennen. Dabei haben die wenigsten Mitarbeiter regelmäßig direkten Kundenkontakt. Zudem ist das Wissen über den Kunden über mehrere Köpfe verteilt (z.B. Vertrieb, Innendienst, Kundenservice, …) oder es ist veraltet.
Dem versuchen die Unternehmen durch CRM-Systeme, Big-Data-Analysen, KI oder ausführliche Marktforschungen zu begegnen. Das Nichtwissen wird jetzt statistisch abgebildet. Der Begriff „Kunde“ ist ein Stellvertreter für diese Zahlen, er bleibt anonym, ist abstrakt, nicht (be-)greifbar und damit wenig hilfreich im Unternehmensalltag.
Von meiner Wirtin lernen
Lore Onnen, die über 80-jährige Wirtin unserer Stadtteilgaststätte Hellwege kann auf alle diese Instrumente verzichten. Sie kennt ihre Gäste, hat den Durchblick wie diese ticken, hat Verständnis für ihre Probleme und sie hat eine Kompetenz - für die ich persönlich sie besonders bewundere: Sie versteht es mit jedem zu kommunizieren. Mit dem Instrument einer Buyer Persona können auch größere Unternehmen viele Kompetenzen von Lore Onnen erwerben.
Kundenverständnis ermöglichen
Eine Buyer Persona ist, vereinfacht ausgedrückt, ein Avatar realer Kunden oder Nicht-Kunden. Anonyme Matchcodes oder Zielgruppen erhalten eine menschliche Identität mit Gefühlen und Motiven. Die Buyer Persona ist das Instrument mit dem allen im Unternehmen das Wissen zur Verfügung gestellt, wer der Kunde ist, was diesen Kunden antreibt und wie dieser Kunde kommuniziert. Dieses Wissen kann von jedem Mitarbeiter und jeder Führungskraft zu jedem Zeitpunkt – bewusst und unbewusst abgerufen werden. Ganz ohne Tastatur und Bildschirm. So ist es möglich das Wissen über den Kunden und seine Erwartungen in die Produktentwicklung, in die Gestaltung von Geschäftsprozessen und die Kommunikation einfließen zu lassen.
In der Praxis genügt es, zwei oder drei Personas zu entwickeln. Das gilt für B2C- und B2B-Märkte gleichermaßen. Im B2C haben sich steckbriefähnliche Darstellungen von Personas etabliert. Neben einigen soziodemographischen Daten, wie Alter und Beruf, werden Freuden, Schmerzpunkte und insbesondere die Motive erarbeitet.
Wer ist der Kunde?
Anders stellt sich die Situation bei B2B-Kunden dar. Aus Anbietersicht sind die Kunden Unternehmen - also >Kunde< Airbus, Siemens oder Würth, um nur einige als Beispiel zu nennen. Ergänzt um eine Abteilung oder Kostenstelle, sind diese Unternehmen aber nur für die Buchhaltung des Lieferanten >Kunden<. Für alle anderen Mitarbeiter kann ein Kunde nur eine Person sein, die eine bestimmte Funktion im Kundenunternehmen ausübt.
Kunden im B2B sind zunächst einmal die potenziellen Abnehmer beziehungsweise Anwender der angebotenen Leistungen. Häufig entscheiden jedoch nicht die Anwender des Produktes über den Kauf, sondern der (technische) Einkauf. Wie dem auch sei, es bleibt festzuhalten: Auch im B2B ist der Kunde ein Mensch.
5 Rings of Buying Insights
Um die wesentlich komplexeren Entscheidungen im B2B in einer Persona abbilden zu können, hat Adele Revella, eine der anerkanntesten Fachfrauen für das Thema, die „5 Rings of Buying Insights“ erarbeitet. Diese fünf Insights nutze ich - in abgewandelter Form – ebenfalls als Template, um eine Persona im B2B zu erarbeiten.
Ring 1 – Priority Initiative (Investitionsauslöser)
Handlungen haben einen expliziten Auslöser. Der Bedarf des Kunden wird durch Veränderungen des Umfeldes oder der Unternehmensumwelt ausgelöst. Das kann die von der Geschäftsführung geforderte Kosteneinsparung sein oder das Problem des Kunden Facharbeiter zu finden, die die angebotenen Maschinen bedienen können.
Der Produktentwickler eines Herstellers von Automatisierungstechnik kann z.B. nach neuen Formen für Bedienungseinheiten suchen, die eine Steuerung der Maschine durch ungelernte Zeitarbeiter ermöglicht. So können die Kunden des Herstellers dem zunehmenden Fachkräftemangel begegnen.
Ring 2 - Success Factors (Erfolgsfaktoren)
Die Erfolgsfaktoren beschreiben die Ergebnisse, die sich die Persona von der Kaufentscheidung erwartet. Dabei sollte zwischen den operativen und den persönlichen Zielen unterschieden werden.
Operativ erwarten der Produktentwickler und damit auch die weiteren Entscheider im Unternehmen, dass mit der vereinfachten Eingabe neue Kunden gewonnen oder vorhandene Kundenmaschinen ersetzt werden können.
Die persönlichen Erwartungen sind hingegen von den Motiven des Produktentwicklers abhängig. Ist das Erregungsmotiv dominierend, dann kann der Erfolgsfaktor unter dem Arbeitstitel >Innovation< zusammengefasst werden. Bei dominierendem Autonomiemotiv würde die neue Lösung einen >Vorsprung durch Technik< ermöglichen.
Ring 3 – Perceived Barriers (Wahrgenommene Hürden)
„bad news-insight“ beschreiben Barrieren, Bruchstellen, die dazu führen können, dass die Persona keine positive Kaufentscheidung trifft. Hierzu zählen die objektiv sichtbaren Eigenschaften einer Lösung, die fehlen oder nur unzureichend ausgeprägt sind. Beispiele hierfür sind Standzeiten, Ausfallzeiten, Verfügbarkeit oder Servicelevel. Aber auch interne Widerstände oder veränderte Prioritäten sind hier anzuführen.
Besondere Bedeutung haben auch hier die Motive.
So wie die Bedienung der Motive Kaufentscheidungen positiv beeinflussen kann, führt eine negative Adressierung zu einer Absage. Wenn ein Anbieter von Eingabegeräten die neue Software, die innovative Ergonomie und das einzigartige, erstmals eingesetzte Modul KI anpreist, würde ein dominierendes Sicherheitsmotiv auf Seiten des Entscheiders negativ adressiert werden und zu einem Nichtkauf führen.
Ring 4. Buyer’s Journey (Weg der Kaufentscheidung)
Der vierte Ring macht deutlich, wie die Persona vorgeht, um verschiedene Lösungsalternativen zu evaluieren. Welche Influencer haben eine Bedeutung und über welche Quellen (Google, Foren, Blogs, Messen, usw.) sich die Persona informiert, wird hier thematisiert?
Ring 5 - Decision Criteria (Entscheidungskriterien)
Mittels persönlicher und unternehmenseigener Kriterien wird ein Angebotsvergleich, z.B. in Form eines Scoring-Modells vorgenommen. Aus der Short List wird das Angebot mit dem höchsten Score ausgewählt.
Bezogen auf die Persona ist hier folgende Fragestellung hilfreich: Welche Merkmale des Produkts und des Anbieters sind der Persona besonders wichtig und dienen deshalb dazu, mögliche Alternativangebote zu bewerten. Auch müssen hier die Kriterien berücksichtigt werden, nach denen Dritte - z.B. im Rahmen eines Buying Centers – die Kaufentscheidung beeinflussen können.
Adele Revella empfiehlt, die notwendigen Informationen in persönlichen Interviews mit potenziellen Kunden zu gewinnen. Eine solche Vorgehensweise halte ich für nicht praktikabel. Die Entscheider sind top ausgebildete Fach- und Führungskräfte, die im Zweifelsfall taktisch antworten. Zudem können in solchen Interviews die impliziten Motive nicht valide thematisiert werden. Gleichwohl ist die Struktur hilfreich, um eine Persona zu entwerfen, die den bis dato im Unternehmen anonymen Kunden (be)greifbar macht.
5 wichtige Fragen zur Entwicklung einer Persona im B2B
Mit diesen Fragen können die fünf rings of Buying Insights demaskiert werden:
Ring 1 – Priority Initiative (Investitionsauslöser): Welche drei bis fünf drängendsten Probleme werden die Kunden unserer Kunden zu bewältigen haben? Welches sind die größten unternehmensinternen Herausforderungen? Welcher Bedarf soll befriedigt werden?, oder: Was bringt den Kunden dazu, sich für ein Produkt bzw. eine Dienstleistung eines bestimmten Typs zu interessieren?
Ring 2 - Success Factors (Erfolgsfaktoren): Welche operativen und persönlichen Erwartungen sollen durch den Kauf befriedigt werden?
Ring 3 – Perceived Barriers (Wahrgenommene Hürden): Was konkret verhindert, dass die Persona eine positive Entscheidung trifft, oder warum entscheidet die Persona sich dafür, nicht oder bei einem Wettbewerber zu kaufen?
Ring 4. Buyer’s Journey (Weg der Kaufentscheidung): Welche Influencer haben eine Bedeutung und über welche Quellen (Google, Foren, Blogs, Messen, usw.) informiert sich die Persona?
Ring 5 - Decision Criteria (Entscheidungskriterien): Nach welchen Kriterien wird die Persona die Angebote miteinander vergleichen? Oder: Welche Merkmale des Produkts und des Anbieters sind der Persona besonders wichtig und dienen deshalb dazu, mögliche Alternativangebote zu bewerten?
Informationen wie Alter, Geschlecht, Ausbildung haben im B2B zwar nur begrenzte Aussagekraft, wenn es um Kaufentscheidungen geht. Trotzdem sind diese sinnvoll, weil diese den Mitarbeitern helfen, sich ein Bild vom Kunden zu machen.
Auch im B2B kommt es nicht darauf an, ein vollständiges Bild des Kunden zu entwerfen. Es soll kein Gemälde gemalt werden, welches dem Betrachter zahlreiche Interpretationsmöglichkeiten offen lässt. Besser ist eine Skizze, die sicherstellt, dass alle Mitarbeiter in einem Unternehmen ein einheitliches Bild von dem Kunden haben.